Frauen im Neusser Schützenwesen – Die Meinung des Captains

Liebe Schützenfreunde, liebe Schützenfreundinnen,

es ist selten genug, dass man in einem Moment weiß, dass er „historisch“ ist. Heute war so ein Tag. In der Stadthalle haben knapp 550 Mitglieder über die Ausarbeitungen des Satzungsänderungsvorschlags diskutiert und abgestimmt. Mehr zu den Umständen wird es in den nächsten Tagen in den lokalen und regionalen Medien geben. Ich muss den Veranstaltern Respekt zollen für die gute Organisation; die demokratische Teilnahme war sehr gut möglich.

Auf die einzelnen Punkte will ich nicht eingehen, auch hier wird es bald genug zu lesen geben. Eine der relevantesten Fragen war die nach der Art und Weise der Teilnahme der Frauen im Verein. Ohne die Debatte wiederholen zu wollen, kam von Paul Neuhäuser der Vorschlag, vor dem „Kompromiss“ einen weit progressiveren Antrag zur Abstimmung zu bringen. Zunächst der „Kompromiss“: Gemeint ist die Aufnahme von Frauen in den NBSV, ohne „Marschierer“ (generisches Maskulinum zur Lesbarkeit) sein zu können, Schießwettbewerbe mitzutragen oder an den Ehrenabenden (Regimentsversammlungen) teilnehmen zu dürfen. Der Vorschlag von P. N. lautete, allen Mitgliedern auch diese Rechte einzuräumen. Er wurde mit ca. 75 % abgelehnt.

Ich spreche/schreibe hier nur für mich, nicht im Namen meines Zuges, aber ich bin herb enttäuscht von der Klarheit des Meinungsbildes. Ein Plädoyer, warum Frauen in unserer (Bürger-)Gesellschaft die gleichen Rechte erhalten sollten, erscheint ja schon fast albern. Andere Institutionen haben das auch erkannt. Seit fast 22 Jahren gilt das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, und wider Erwarten ist das Abendland immer noch nicht untergegangen. Bundeswehr, Polizei, Zoll, etc. werben händeringend um Mitarbeiterinnen. Auf den Zinnen der Stadt Neuss wehrten Frauen die Burgunder ab (das ist zwar 550 Jahre her, aber daraus speist sich ja auch unsere Vereinsgeschichte). Warum können wir sie nicht Schützinnen werden lassen? Ich würde es wirklich gerne wissen, bitte schreiben Sie mir Ihre Argumente. Falls die Sorge bestünde, Frauen würden bei Ihnen im Zug mitmarschieren und die „Truppe“ entzweien: 1. Dafür müssen die Partner nicht Mitglied des Zuges sein, das geht auch so. 2. Bei einer generellen Ablehnung von Frauen im Zug wird keine Aufnahme stattfinden.

Was aber passieren könnte, wäre eine Teilnahme als Zug im Corps oder sogar ein eigenes Frauen-Corps (das hätte andere Herausforderungen, aber nehmen wir mal an, das wäre die geringere Hürde als die prinzipielle Zulassung als Marschiererinnen). Dann hätte man Frauen nicht nur in den Spielmannszügen, bei den Pferden oder am Straßenrand, sondern im Zug als eigene Einheit. Sie würden vielleicht auch eine angepasste Uniform bekommen, aber A. bin ich da kein Experte und B. warum denn nicht? Es würde also vielleicht Züge geben, die „gemischt“ auftreten, es gäbe vielleicht ganze Frauenzüge oder sogar ein Frauencorps. Wo schränkt das nun meine/unsere (der bisherigen Mitglieder) Freude am Fest ein? Ich freue mich nach wie vor über Nachrichten dazu!

Es wurde heute angemerkt, dass doch bitte an die langfristigen Folgen dieser Satzungsänderung gedacht werden solle. Ich darf zu bedenken geben, dass wir diese noch häufig anpassen werden müssen. Die vorherige Satzung war aus den 50er-Jahren! Es ist noch nicht mal gegeben, dass wir aufgrund der klimatischen Veränderung in 50 Jahren das Fest in Neuss oder zumindest im August feiern können. Was ich damit sagen möchte: Dieser Entwurf wäre vor 50 Jahren richtungsweisend für einen Verein aus der Bürgerschaft gewesen. Jetzt ist er nur schon überkommen. Wir haben ganz andere Sorgen.

Die Tochter unseres Leutnants wurde heute getauft. Sie kann, sobald die Satzung nächstes Jahr in Kraft tritt, Mitglied des Vereins werden. Ob sie bis zur Volljährigkeit auch mitmarschieren darf (ob sie will – das ist ja eine ganz andere Frage der Erziehung 😊), bezweifle ich nicht. Aber warum muss es noch dauern? Ich finde, wir verlieren gar nichts, wenn wir Frauen jetzt schon als Marschiererinnen zulassen. Wir gewönnen viel Potenzial dazu, den Verein und unsere Traditionen in das 21. Jahrhundert und darüber hinaus zu transportieren und zu transformieren.

Der „Kompromiss“ wurde angenommen. Natürliche Personen dürfen nun Mitglied des Vereins werden. Ich hoffe, bei der nächsten ordentlichen Mitgliederversammlung, bei der dieses Thema verhandelt wird, mehr Mitstreitende (!) zu finden.

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert