Ein Syrer unter Nordlichtern

VON NICOLE SCHARFETTER 

NEUSS Dass die Nordlichter des Schützenlustzugs ein kreativer Haufen sind, das haben sie spätestens mit der Erfindung ihres Kartenspiels bewiesen. „So ist das Schützenfest spielbar geworden“, sagt Feldwebel Hans Kockelkoren. In diesem Jahr standen er und Schützenbruder Patrick Arnold vor einem Problem: „Wir wollten, dass Moaaz auch ein Spiel bekommt, aber ohne Bierkarte“, sagt Kockelkoren. Moaaz Salama trinkt nämlich kein Bier, das erlaubt ihm seine Religion nicht. Moaaz Salama ist Moslem, vor elf Monaten flüchtete er aus Syrien, und seit dem Frühsommer ist er Mitglied bei den Nordlichtern.
Die Bierkarte wurde durch eine Teekarte ersetzt. Und weil Salama gerade erst die Grundregeln des Schützenwesens kennenlernt, darf er das Spiel so spielen, wie er es ver- steht, und Bierkarten muss er nicht annehmen. „Die Eigenschaften stehen sogar auf seiner Charakterkarte, jeder Schütze hat so eine“, erklärt Patrick Arnold. Zumindest um die eigenen Spielregeln beneiden ihn viele Schützenkameraden. 

Dass Moaaz Salama einmal Schütze werden würde, daran hätte er vor einem Jahr nicht gedacht. Damals arbeitete der 26-Jährige noch als Assistenzarzt in der Thoraxchirurgie in einem Krankenhaus in Damaskus. Jeden Tag behandelte er Opfer von Schusswechseln und Bombenangriffen. Jeden Tag sah er Menschen sterben. Jeden Tag hatte er selber Angst vor dem Krieg, der seit 2011 in dem Land in Vorderasien tobt. Seine Eltern, drei Brüder und die Schwester verließen Syrien, Moaaz Salama aber blieb, bis er sein Medizinstudium beendet hatte. „Meine Familie machte sich große Sorgen“, sagt er. Im September 2015 beschloss Salama schließlich, seiner Familie zu folgen, die in Neuss ein neues Zuhause gefunden hatte.

Seitdem paukt Moaaz Salama Deutsch, gerade hat er den Intensiv- sprachkursus mit dem Niveau B2 abgeschlossen – das drittbeste von sechs. Salama besteht inzwischen darauf, dass man mit ihm Deutsch spricht, „so lerne ich die Sprache richtig“, sagt er. Ein Grund, warum er so begeistert ist von den Nord- lichtern und dem Brauchtum. „Mit den Schützen kann ich üben.“, sagt Salama. „Außerdem treffe ich neue Leute.“ In Hans Kockelkoren und Patrick Arnold hat Moaaz Sala- ma Freunde gefunden, mehr noch: „Sie sind wie Brüder“, sagt der Syrer.

Kennengelernt haben sich die Drei bei einer Versammlung vor ein paar Monaten. „Der Freund der Schwester meiner Freundin, Sascha, betreut ehrenamtlich Flüchtlinge“, erzählt Hans Kockelkoren. Schon eine Zeit lang habe es im Zug den Wunsch gegeben, einen Flüchtling zu integrieren, „so ist dann der Kontakt zu Salama entstanden“, sagt der Feldwebel. Bisher ist der 26- Jährige der erste aus seiner Familie, der sich als Schütze ausprobiert. Aber seine Familie habe schon zugeguckt, als Moaaz Salama das erste Mal marschierte. „Das hat er gut gemacht“, findet Patrick Arnold. Im Takt sei er geblieben, „und ich bin nicht dem Vordermann in die Hacken getreten“, sagt der Flüchtling. Inzwischen wisse er auch, wer der König ist und warum man beim Oberstehrenabend einen anderen Zugweg laufe als beim Königsehrenabend. Sogar einen Königsorden hat der 26-Jährige be- kommen, Mitte August, von Gerd Philipp Sassenrath. Der sponsort Salama die Uniform, „die passt perfekt“, sagt der Syrer, der Hut, Jackett und weiße Hose schon anprobiert hat. 

Vermutlich wird er nicht der einzige Salama unter den Schütze bleiben. „Seine jüngeren Brüder gehen beide aufs Quirinus, da kommt man früher oder später zu uns“, sagt Patrick Arnold. Ein bisschen ist es wie der Sprung ins kalte Wasser, dieses Schütze-Sein – was beim Schützen- fest auf ihn zukommt, das kann Salama sich nicht wirklich vorstellen. Aber auf die Kirmes freut sich der 26-Jährige, der schon ganz wild ist aufs Achterbahn- und Riesenrad- Fahren.

„Kirmes hatten wir früher auch in Syrien“, sagt er. Damals, als noch Frieden war in seiner Heimat und die Menschen gut lebten. „Es muss etwas passieren in Syrien“, sagt Moaaz Salama, „der Krieg ist menschengemacht, er kann von Menschen beendet werden.“ Dankbar ist der Syrer für seine neuen Freunde und „Brüder“ Hans und Patrick, und für ihre Unterstützung. 

Gerne würde der 26-Jährige arbeiten, dafür muss er aber die Fachsprachprüfung ablegen. Und ob er dann als Arzt praktizieren darf, weiß er nicht. Ein Praktikum oder eine Hospitanz würden ihm schon reichen. Für den Anfang zumindest. Sicher kann Salama in den nächsten Tagen auf dem Schützenfest noch ein paar Kontakte knüpfen, als Nordlicht, das er jetzt ist, mit seiner schicken Uniform und dem Hut dem sehr guten Deutsch, das er spricht. „So funktioniert Integration“, sagt Feldwebel Hans Kockelkoren. 

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